Wer denkt, dass Ritter nur tumbe Haudraufs ohne Stil waren, verkennt die europäische Geschichte. Historische europäische Kampfkunst war hochentwickelt. Bei Gladiatores in Karlsruhe wird dieser Kampfsport neu belebt und fasziniert immer mehr Menschen.
Das Umschlagen mit dem Zwerchhau ist eine typische Reaktion auf einen Angriff (Quelle: Martin Stollberg)Größere Abbildung anzeigen
Mit einem weiten Ausfallschritt schnellt der Körper von Thomas Brennauer blitzartig nach vorn. Die Waffe in seiner Hand kracht mit einem lauten Klirren auf die Parierstange seines Gegners. Brennauer hatte versucht, den Kopf von Trainer Sven Baumgarten zu treffen.
Doch der reagiert schnell und hebt sein Schwert über den Kopf, sodass die Spitze der Klinge in Richtung seines Kontrahenten zeigt. Brennauer kontert. Noch in der Bewegung schiebt er seine eigene Klinge an der Waffe seines Partners entlang und versucht sie zur Seite zu drücken.
Der Trainer begrüßt seine Schüler (Quelle: Martin Stollberg)Größere Abbildung anzeigen
Im Training
„Jetzt reagieren wir mit einem Zwerchhau zur Seite“
, sagt Baumgarten gelassen und wirbelt mit einer propellerartigen Bewegung die Waffe um seinen Kopf. Der Hieb schnellt parallel zum Boden auf die gegenüberliegende Schläfenseite seines Gegners. Kurz vor dem Kopf hält Baumgarten die Klinge präzise an. Übungsende.
Sven Baumgarten ist Trainer an der Kampfkunstschule Gladiatores in Karlsruhe. Er erklärt, was gerade passiert ist: „Wir laden bei dieser Übung den Gegner zu einem Oberhau auf unsere Schläfe ein. Parieren jedoch dann, indem wir den Ochsen stellen und dann zur oberen Blöße unseres Gegners stechen. Dies erkennt unser Kontrahent und reagiert darauf, indem er uns in die Klinge fällt. Wir nutzen den Moment, schlagen um und treffen den Gegner am Kopf mit einem Zwerchhau.“
Was für Laien wie Kauderwelsch klingt, ist für die Mitglieder der Schule für historische europäische Kampfkünste eine klare Arbeitsanweisung.
Rapier und Linkhand sind schwer zu meistern (Quelle: Martin Stollberg)Größere Abbildung anzeigen
Es muss fließen
Historisches Fechten oder, wie es offiziell heißt, Historische europäische Kampfkunst (HEMA), nennt sich die Sportart, die hier am Stadtrand von Karlsruhe trainiert wird. „Wir trainieren hier nach deutscher und italienischer Schule“
, sagt Thomas Brennauer. Er selbst ist Trainer des Vereins Gladiatores München.
Im Schlepptau hat er Fähnrich zur See Nico Hochberger. Der studiert an der Universität der Bundeswehr in München. „Ich habe mir historisches Fechten zum ersten Mal 2005 angeschaut, aber erst 2010 selbst damit begonnen“
, sagt der Soldat.
Im Gegensatz zu vielen Fechtern der Szene hat er mit dem Mittelalter wenig am Hut. „Ich kenne zwar einige Events und Märkte, aber ich bin wirklich wegen des Schwerttrainings hier. Auch der waffenlose Teil ist nicht so meins“
, gibt Hochberger zu. Fasziniert sei er vor allen Dingen von der Schnelligkeit und Eleganz, mit der gefochten wird. „Die Bewegungen fließen“
, erzählt er begeistert.
Damit es fließt, ist die richtige Einschätzung der eigenen Energie eine der wichtigsten Kontrollaufgaben beim Fechten. Wer seine Waffe unnötig stoppt, muss auch wieder Kraft aufwenden, um sie zu beschleunigen. Daher laufen viele Bewegungen sanft aus und werden nicht abrupt beendet. Aus einem Hieb wird schnell wieder eine Ausholbewegung oder eine Parade – und umgekehrt.
Der Fechtergruß ist ein wichtiges Element der Etikette beim Schwertfechten (Quelle: Martin Stollberg)Größere Abbildung anzeigen
Alte Kultur, neues Bild
Die Waffen sind nicht so schwer, wie sie wirken. Ein klassisches, langes Schwert, eine Waffe, die mit zwei Händen geführt wird, wiegt gerade einmal anderthalb Kilogramm, eine einhändige Waffe, ein Schwert etwa oder Rapier, knapp über ein Kilo. Die mittelalterliche Fechtkunst selbst war Teil einer hochentwickelten Kriegerkultur, ähnlich der bisher besser bekannten asiatischen Kampfkunst.
Doch Ritter- und Degenfilme haben in den vergangenen Jahren ein Bild gezeigt, das nur wenig mit der Wirklichkeit des Mittelalters zu tun hat. Lange Kampfszenen hat es bei einem klassischen Duell nicht gegeben. Ein Kampf war meist nach wenigen Sekunden beendet. Der erste Schlag war meist tödlich oder verwundete den Gegner zumindest so schwer, dass eine zweite Attacke dann den finalen Schlag ausmachte.
Manuskripte und Aufzeichnungen geben heute darüber Aufschluss, wie früher gekämpft wurde. Der älteste Text ist das sogenannte Tower-Fechtbuch. Seine Entstehung wird auf das 13. Jahrhundert geschätzt. Hier wird der Kampf mit Schwert und Buckler, einem Faustschild, dokumentiert. Fechtmeister waren angesehene Bürger und oftmals angestellt bei Fürsten und Königen.
Sie konnten reisen, ihre Techniken ausprobieren, verfeinern und an ihre Schüler weitergeben. Die bekanntesten unter ihnen sind wohl Johannes Liechtenauer, Begründer der sogenannten deutschen Schule, Sigmund Ringeck oder Hans Talhoffer. Daneben gibt es die berühmten Italiener wie Ridolfo Capo Ferro, Achille Marozzo und Antonio Manciolino.
Die Fechtstellung „Ochs“ ermöglicht die Kontrolle der Waffe des Gegners und einen Stich in seine Brust (Quelle: Martin Stollberg)Größere Abbildung anzeigen
Trainiere wie Du kämpfst
Für Fechttrainer Brennauer gehört das Studium dieser Schriften mit zur Kampfkunst. „Mich hat unsere eigene Kultur und Geschichte schon immer interessiert“
, sagt er. Vor allem der philosophische Unterbau der Kampfkunst zeigt sich in vielen Schriften. Zwar gab es keinen gesellschaftlich festgeschriebenen Codex, wie das japanische Bushido, klare Regeln aber schon.
Sie sollten den Übenden helfen, die richtige Geisteshaltung im Training und im Kampf einzunehmen. Dies gilt immer noch. „Trainiere wie Du kämpfst“
lautet deshalb auch ein Trainingsmotto. Nur wenn Fechter sich im Training der lethalen Absichten klar werden, können sie auch in einem Gefecht bestehen. Dabei spielt es dann keine Rolle, ob es sich um einen Trainingskampf, ein Turnier oder eine reale Verteidigungssituation auf der Straße handelt.
Frank Auppele trainiert Jugendliche (Quelle: Martin Stollberg)Größere Abbildung anzeigen
Althergebracht – nicht altmodisch
Zur Not geht es auch ohne Schwert. Wer meint, die historische Kampfkunst würde nur mit Eisenwaffen zu tun haben, liegt mächtig falsch. Denn fast alle Systeme sind als sogenannte Allkampfsysteme konzipiert.
Das bedeutet, dass sie im Zusammenschluss unterschiedlichster Waffengattungen funktionieren und auch waffenlose Teile beinhalten. Der Kampf mit dem Dolch, das Ringen und Kriegsringen leben dabei von Hebeln, Würfen, Stößen und Tritten. Sogar klassische Selbstverteidigung gehört dazu, notfalls auch mit dem Spazierstock.
Dass historische Fechter häufig als Mittelalterfreaks bezeichnet werden, bedient ein Vorurteil, das sich hartnäckig hält. Sie selbst betrachten sich nicht als altmodisch oder gar rückwärtsgewandt. Ihrer Meinung nach haben die überlieferten Inhalte an Aktualität über die Jahrhunderte nichts eingebüßt. Und die Kampfkunst als solche ist ebenso althergebracht wie vergleichbare asiatische Martial Arts.
Tödlich: Ein Stich in den Nacken mit dem Scheibendolch (Quelle: Martin Stollberg)Größere Abbildung anzeigen
Der Kampf geht los
Wie rasant Fechten aussieht, zeigt sich in den Trainingsgefechten der Gladiatores. Hier ist der Name Programm. Für Zartbesaitete ist dies also nicht der richtige Ort. Thomas Brennauer und Nils Stracke, Oberfeldwebel der Reserve, ziehen sich ihre Fechtmasken an. Dicke, wattierte Unterkleidung soll vor den Schlägen der leichteren Trainingswaffen schützen.
Handschuhe, Ellenbogen- und Knie- sowie Hodenschützer decken die wichtigen Stellen ab. Wie in dem Westernklassiker „High Noon“ nehmen die beiden Fechter Aufstellung. Die dunklen Visiere ihrer Fechtmasken verdecken ihre Augen. Beide heben ihre Waffe, um ihren Partner zu grüßen – Fechteretikette. Dann gehen sie in Kampfposition, die sogenannten Huten. Brennauer hebt sein Schwert zur Hut „vom Tag“ und stellt es über den Kopf.
Wie ein menschlicher Spiegel reagiert Stracke und hebt seine Waffe. Der erfahrene Kämpfer ist ein Brocken von einem Mann und könnte auch gut als Tackle einer Amateur-Footballmannschaft durchgehen. Stracke deutet mit der Spitze seines Schwertes direkt auf das Gesicht seines Gegners. Wer jetzt angreift, hat schlechte Karten.
Ausrüstung für das freie Fechten (Quelle: Martin Stollberg)Größere Abbildung anzeigen
Die Waffe muss zunächst aus dem Weg. Brennauer versucht es mit einer Bindung. Er schlägt leicht gegen die Klinge seines Gegners und versucht diese zur Seite zu drücken. Stracke tänzelt zurück, nur um ein Sekundenbruchteil später wieder mit einem Hieb vorzuschnellen. Sein Gegner hebt sein Schwert. Pariert in letzter Sekunde. Konter. Nun ist Stracke in der Verteidigung.
Mit einer Reihe von Hieben setzt Brennauer ihm zu, bis er ihn immer mehr in Bedrängnis bringt. Da hilft nur eins: Infight. Genau das, was Stracke mag. Nach einer Parade springt er in seinen Gegner und versucht, ihn zu Boden zu ringen. Mit einer Hand auf dem Waffenarm kontrolliert er die für ihn gefährliche Waffe und schiebt seinen Fuß und seinen Körper unter den Schwerpunkt seines Trainingspartners.
Beide straucheln. Stracke schafft es aber nicht, Gegner und Waffe zu überwinden. Der Trainer aus München ist zu stark und zu erfahren. Er windet sich raus. Stracke muss sich lösen. Waffenwechsel und kurze Verschnaufpause. Dann geht es aufs Neue los. Dieses Mal mit einem Rapier.
Roland Warzecha (Quelle: Privat)Größere Abbildung anzeigen
3 Fragen an Roland Warzecha
Roland Warzecha ist Gründer des Hamburger Fechtvereins Dimicator
Y: Wie lange braucht ein Sportler, um fechten zu lernen?
Warzecha: Um die Reichweite exakt einschätzen zu können, bedarf es gut drei Jahre regelmäßigen Trainings. Präzises Distanzgefühl ist eine Grundvoraussetzung für den effektiven Einsatz von Techniken im Gefecht. Instinktive Handlungen müssen durch kampfkunstkonforme Aktionen ersetzt werden. Das erfordert Konditionierung durch jahrelanges, zielgerichtetes Training.
Y: Was muss im Training getan werden, um HEMA zur Selbstverteidigung anwenden zu können?
Warzecha: Historische Kampfkünste und moderne Selbstverteidigung sind für unterschiedliche Anwendungskontexte entwickelt worden. Da sie aber auf denselben Prinzipien fußen, schult auch historisches Fechten Geist und Körper. Da man im Kampf nur einsetzen kann, was man zuvor geübt hat, müssen einzelne Aspekte in unterschiedlichen Gefechtssimulationen trainiert werden. Das Trainingsgerät variiert dabei ebenfalls.
Y: Was halten Sie von der Gründung eines HEMA-Dachverbands?
Warzecha: Mir persönlich geht es um Qualität, nicht um Masse. Daher unterrichte ich auch nur wenige, ausgesuchte Schüler. Für mich ist das Streben nach Vervollkommnung das Entscheidende – ein Verband spielt dabei keine Rolle. Historische Kampfkünste können bestimmt breitensporttaugliche Spielarten inspirieren. Das wäre dann aber Sport, nicht Kampfkunst.
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